Donnerstag, 30. August 2007

Gedankenbrücken - Dramaturgische Gedanken zu Mozart und Salieri von Burkhard Kling


„Ich wandte mich Puschkins „Mozart und Salieri“ zu, und zwar in Form zweier Opernszenen, in „rezitativischem Arioso-Stil“. Das war genaugenommen eine rein gesangliche Komposition: das melodische Gewebe, das den Windungen des Textes folgte, wurde allem anderen voran komponiert; die Begleitung, die ziemlich kompliziert werden sollte, formte sich später von selbst und ihr erster Entwurf unterschied sich beträchtlich von der ausgearbeiteten Form ihrer Orchesterbegleitung. Ich war zufrieden: Das Ergebnis war für mich etwas ganz Neues…“ Nikolaj Rimskij-Korsakow in seiner Autobiographie
Tatsächlich ist „Mozart und Salieri“, im Jahr 1897 entstanden, ganz im Gegensatz zu seinen bekannteren und meist von russischem Kolorit geprägten Werken wie „Der goldene Hahn“, „Sadko“, „Die Zarenbraut“ oder „Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch“ ein intimes und ganz auf psychologische Momente reduziertes Werk.

Alexander Puschkin hatte sich im Herbst 1830 auf sein Gut Boldino zurückgezogen, um unabhängig von staatlicher Beaufsichtigung zu schreiben. Es entstand der Schluss des „Eugen Onegin“, einige Gedichte und die vier „Kleinen Tragödien“. Von denen ist „Mozart und Salieri“ sicherlich das inhaltlich reichste Werk. Puschkin hatte von dem Gerücht, Mozart sei einem Giftmord erlegen, gehört und das gab die vordergründige Handlung, doch das eigentliche Thema , um das sich die Rede und Gegenrede der beiden auftretenden Personen dreht, ist das Wesen der Kunst und die Person des Künstlers, ein Thema, das Puschkin immer wieder, vor allem in seinen Gedichten, vorrangig behandelt hat. Hier stehen zwei völlig unterschiedliche Künstlertypen gegenüber, das gottbegnadete Genie und das Talent, welches sich durch zähen Fleiß einen gesellschaftlichen Stand erarbeitet hat. Das war auch das Thema, das Rimskij-Korsakow interessierte, Salieris Werk, das durch festgelegte Regeln beherrscht ist und Mozarts Werk, welches von der Inspiration geprägt wird und die Menschen, die hinter diesen Werken stehen, sie verantworten. Dass es keine Abweichungen davon geben darf, dass diese Schemen feststehen, dass ist Salieris Denkweise und er kann nicht davon abweichen! Mozart kann es und dass macht ihn in den Augen Salieris unwürdig! Die Szene mit dem Fiedler macht das besonders deutlich: Ein Straßengeiger wird von Mozart aufgefordert, einer seiner Melodien zu spielen. In den Augen Salieris der schlimmste Frevel, der der Kunst überhaupt angetan werden kann. Das Idealbild, dass sich Salieri zurechtgelegt hat, bricht zusammen, der Künstler und der Mensch Mozart sind nicht identisch

Wolfgang Amadeus Mozart wurde von Antonio Salieri ermordet! Das wird in Peter Shaffer’ Bühnenwerk und noch viel deutlicher in dem danach entstandenen opulenten Film kolportiert. Doch werden schon alle wichtigen Thesen und Elemente dieser Geschichte in Alexander Puschkins Dramenskizze „Mozart und Salieri“ vorgestellt. Vieles was Kinobesucher in Milos Formans Film hautnah erlebt haben, Salieris Verzweiflung über Gott und die Weltordnung, dass Lob und Genius nicht als Belohnung für Mühe und Fleiß sonder blind vergeben werden, ist schon bei Puschkin zu finden. Die historisch nicht haltbare Idee des Mordes an Mozart basiert darauf, dass Salieri nicht verstehen kann, dass ein Genie aus der Kombination von Fleiß und Begabung entsteht. Mozart setzt diese Denkweise außer Kraft und stört so Norm und Vernunft. Er sprengt die Grenzen einer festgeschriebenen Welt!
Dies ist auch der Kern von Puschkins dramatischen Szenen: nicht der Mord selbst steht im Mittelpunkt, es ist das Motiv des Mörders, um das es geht. Mozart wird vergiftet, weil Salieri überzeugt ist, dass die humane Weltordnung die extreme Schönheit von Mozarts Musik nicht verkraften kann und deshalb nicht dulden darf. Salieri macht sich hier zum Anwalt einer „normalen“ Gesellschaft. Salieri liebt Mozart und seine Musik, aber er ist überzeugt, dass nicht sein soll, was nicht sein darf. Dies wird auch für die Nachwelt nur zu deutlich. Die plötzliche Unterbrechung von Mozarts Musik im „Lacrimosa“ des Requiems führt schnell zu Gerüchten und Phantasien. Die Vollendung des Werkes durch Franz Xaver Süßmeier macht nur zu deutlich, wie sehr sich die Arbeiten von Lehrer und Schüler unterscheiden. Extreme Radikalität und Norm stehen sich hier gegenüber. Dies musste zu Mutmaßungen und Phantasien führen. Dies inspirierte Puschkin zu seinen dramatischen Szenen und Rimskij-Korsakow zu seinem ganz eigenen Werk, dass in doppelter Hinsicht die beiden Komponisten beleuchtet und hinterfragt.

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